Wehrpflicht – Rückkehr zu alten Prinzipien in Zeiten neuer Bedrohungen?
von Gerhard Hücker (Kommentare: 7)

Doch die Welt hat sich verändert. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien die konventionelle militärische Bedrohung in Europa zu schwinden. Stattdessen stehen wir heute vor asymmetrischen Bedrohungen wie internationalem Terrorismus und Cyberkriegen – Phänomene, die weit schwieriger durch traditionelle militärische Strukturen zu bewältigen sind.
Neue Bedrohungen, neue Realitäten
Die digitale Welt, in der nicht nur der militärische, sondern auch der digitale Raum zur Arena von Kriegen geworden ist, erfordert eine hochspezialisierte Verteidigungspolitik. Der Ukraine-Krieg hat uns gezeigt, dass konventionelle Streitkräfte nach wie vor eine zentrale Rolle spielen. Russland mobilisiert eine große Armee, und der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass die Fähigkeit zur konventionellen Verteidigung in Europa keineswegs überholt ist.
Aber es wäre naiv zu glauben, dass zukünftige Kriege ausschließlich mit Panzern, Soldatinnen und Soldaten geführt werden. Laut dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) haben Cyberangriffe in den letzten Jahren weltweit um über 300 % zugenommen. Die Bedrohung durch Cyberkriminalität und hybride Kriegsführung gehört heute zu den größten Gefahren für die Stabilität von Staaten. Nach NATO-Berichten werden jährlich Tausende von Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen verzeichnet, die teils schwerwiegende Folgen haben können, wenn sie nicht abgewehrt werden.
Die Wehrpflicht, wie wir sie in der Vergangenheit kannten, ist nicht für diese Art von Bedrohungen ausgelegt. Junge Menschen, die nur ein Jahr in den Dienst des Landes treten, können kaum die komplexen technischen Fähigkeiten entwickeln, die für die heutige Kriegsführung erforderlich sind. Was wir brauchen, sind professionelle, spezialisierte Kräfte, die auf die Herausforderungen einer technologisch geprägten Kriegsführung vorbereitet sind.
Der Ukraine-Krieg und die Rückkehr konventioneller Bedrohungen
Trotz dieser neuen Realitäten dürfen wir die Lehren aus dem Ukraine-Krieg nicht ignorieren. Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) hat festgestellt, dass viele europäische Staaten ihre konventionellen Verteidigungskapazitäten nach dem Kalten Krieg in den 1990er Jahren stark reduziert haben. Die Krise in der Ukraine hat jedoch die dringende Notwendigkeit aufgezeigt, diese Fähigkeiten wieder aufzubauen. Die NATO-Länder haben im Jahr 2022 ihre Verteidigungsausgaben um über 8 % erhöht – das stärkste Wachstum seit Jahrzehnten. Deutschland hat daraufhin im Jahr 2023 ein historisches Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen, um seine Verteidigungskapazitäten zu modernisieren und die NATO-Ziele zu erreichen.
Moskaus Invasion in die Ukraine hat die Sicherheitslage in Europa drastisch verändert. Die NATO und die europäischen Staaten mussten sich seit langer Zeit wieder auf die Verteidigung ihrer Grenzen konzentrieren. In diesem Kontext könnte die Wehrpflicht erneut als eine notwendige Maßnahme erscheinen, um die Verteidigungsfähigkeit auf breiter Ebene zu stärken.
Doch eine einfache Wiederbelebung der Wehrpflicht nach altem Muster ist kaum zielführend. Eine moderne Wehrpflicht muss neben der militärischen Ausbildung auch neue Fähigkeiten fördern – insbesondere in den Bereichen Cyberabwehr, Informationssicherheit und strategischer Kommunikation.
Die Pflicht zur Verantwortung in der Gesellschaft
Die Wehrpflicht hat jedoch nicht nur eine militärische, sondern auch eine gesellschaftliche Funktion. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 dazu geführt, dass viele soziale und zivile Dienste – insbesondere der Zivildienst – deutlich zurückgefahren wurden. Angesichts einer wachsenden individualistischen Tendenz und einem schwindenden Gemeinschaftsgefühl in der Bevölkerung könnte die Wehrpflicht wieder einen nicht unbedeutenden sozialen Beitrag leisten.
Durch die frühere Wehrpflicht kamen junge Menschen aus unterschiedlichen Schichten und sozialen Hintergründen zusammen. Das gemeinsame Training diente nicht nur der militärischen Ausbildung, sondern förderte auch die soziale Integration. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2010 gaben 74 % der ehemaligen Wehrpflichtigen an, dass die Wehrpflicht für sie ein wertvolles Instrument war, um soziale Fähigkeiten zu entwickeln und unterschiedliche Perspektiven zu verstehen.
Nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 wurde der Zivildienst durch freiwillige Angebote wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) ersetzt. Diese Programme bieten weiterhin Möglichkeiten für soziales Engagement, doch Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen, dass die Anzahl der Teilnehmenden in diesen Programmen hinter den früheren Zahlen des Zivildienstes zurückbleibt.
Eine neue Form der Wehrpflicht: Anpassen an die Komplexität des 21. Jahrhunderts
Die zentrale Frage, die sich heute stellt, ist nicht nur, ob wir die Wehrpflicht wieder einführen sollten, sondern wie sie gestaltet sein müsste, um den heutigen Krisen gerecht zu werden. Laut der NATO hat sich das Spektrum erheblich erweitert – neben konventionellen Bedrohungen gibt es hybride Kriegsführung, Cyberangriffe und terroristische Aktivitäten. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht müsste diese neuen Realitäten in den Mittelpunkt rücken.
Programme wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) oder der Bundesfreiwilligendienst (BFD) haben nach wie vor Bedeutung, doch sie könnten durch eine verpflichtende Komponente in einem »Bundesfreiwilligenjahr« ergänzt werden, das Bürgerinnen und Bürger dazu ermutigt, Verantwortung in den Bereichen Militär, Zivilschutz oder sozialer Arbeit zu übernehmen.
Ein solches Modell könnte nicht nur die nationale Verteidigung stärken, sondern auch soziale und ökologische Herausforderungen bewältigen. Der Deutsche Feuerwehrverband hat wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Kapazitäten im Katastrophenschutz zu erhöhen. Die Integration junger Menschen in diese Bereiche kann ebenfalls dazu beitragen, die nationale Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
Sicherheit in einer Welt der Unsicherheiten
Eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist keine einfache Entscheidung und darf nicht allein durch Nostalgie getrieben werden. Jede sicherheitspolitische Entscheidung muss durch klare Analysen und einen kühlen Kopf getroffen werden. Eine moderne Wehrpflicht, die auf die Anforderungen unserer Zeit zugeschnitten ist, kann einen Beitrag zur Stabilität Europas leisten – aber nur, wenn sie auf die neuen Realitäten der Kriegsführung und die soziale Verantwortung abgestimmt ist.
Ihr Standpunkt ist gefragt
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Kommentar von Laura B. |
Die Rückkehr zur Wehrpflicht wirkt wie eine Antwort auf längst überholte Fragen! Cyberkriege und hybride Bedrohungen prägen die moderne Kriegsführung – ein starres Pflichtsystem löst weder diese Herausforderungen noch die sozialen Spannungen. Statt Nostalgie brauchen wir Konzepte, die uns auf die Zukunft vorbereiten!
Kommentar von Bernd Wencenzki |
Liebe Frau Laura B., die Rückkehr zur Wehrpflicht ist keine nostalgische Übung, sondern eine strategische Notwendigkeit. Bedrohungen beschränken sich nicht mehr nur auf Cyberangriffe und Terrorismus, sondern auch konventionelle Kriege wie in der Ukraine, Israel etc. Es wäre töricht, die nationale Verteidigung allein "Spezialisten" zu überlassen. Eine moderne Wehrpflicht stärkt nicht nur das Militär, sondern zwingt eine ganze Gesellschaft, Verantwortung zu übernehmen – und das ist in Zeiten zunehmender Fragmentierung unserer Demokratien von unschätzbarem Wert.
Kommentar von Laura B. |
Verantwortung übernehmen, ja – aber die Frage ist, ob die Wehrpflicht der richtige Weg ist, um das zu erreichen. Cyberangriffe und Terrorismus erfordern spezialisierte Kräfte, nicht einen Zwangsdienst, der junge Menschen nur oberflächlich ausbildet. Was bringt es, eine breite Masse in eine Verteidigungsstruktur zu zwängen, die nicht einmal für die realen Bedrohungen unserer Zeit gerüstet ist? Wenn wir wirklich Verantwortung übernehmen wollen, sollten wir in Bildung, Technologie und Diplomatie investieren – nicht in ein antiquiertes Pflichtsystem.
Kommentar von Gerhard Hücker |
Liebe Frau Laura B., ich bin natürlich auch für Bildung. Technologie - was immer Sie damit meinen - und Diplomatie, aber das hat Herr Putin leider nicht von seiner Aggression abgehalten. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Und dazu brauchen wir - leider - eine Bundeswehr, die den Namen verdient. Was halten Sie davon, wenn wir Herrn Putin sagen, wenn er sich nicht auf die völkerrechtlich verbindlichen Grenzen zurückzieht, dann werden wir die Ukraine mit allem ausrüsten, was erforderlich ist, seine Aggression zu beenden. Aktion statt Reaktion !
Kommentar von Ulrich Pflaumann |
Nun, ein "Zwangsdienst" wäre Fronarbeit oder so. Also: Schulpflicht oder Schulzwang? Führerscheinpflicht oder F-Zwang? Sorgfaltspflicht oder S-Zwang? Steuerpflicht oder Steuerzwang?
Die Familie, die Heimat und die Gesellschaft mit Ihren Idealen zu schützen und zu stärken ist eine Pflicht. Dabei kann es mit der Waffe in der Hand sein, mit dem Gehirn am Computer oder mit dem Herz beim Zivilschutz mit seinen vielfältigen Aspekten: Feuerwehr, Polizeiunterstützung, Kranken- und Pflegedienst und auch Bewahrung der Schöpfung bei Umweltschutztätigkeiten. Kurz und gut: Nur Militär ist zu kurz gedacht. Ein jeder Mensch, ob Mann oder Frau, sollte stolz darauf sein, etwas für sein Land tun zu dürfen.
Und nur zur Kenntnisnahme: Trotz Cyberangriffen, Drohneneinsätzen, Lenkwaffen und so weiter, die Menschen in Butcha, im Sudan und in der Levanthe wurden von anderen Menschen gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Krieg wird immer auch durch Menschen vor Ort geführtund nicht nur am Bildschirm. Deshalb werden Menschen benötigt, die vor Ort bereit stehen, solche Folterknechte und Mordbuben an ihrem schändlichen Tun zu hindern.
Kommentar von Gerhard Hücker |
Liebe Frau Laura B., lieber Herr Pflaumann,
ich sollte mein Plädoyer für das Wiederaufleben der Wehrpflicht vielleicht etwas präsisieren, wie ich es in meinem Buch "Mündige Bürger - Der Wer zur Eigenverantwortung" getan habe. Ich denke an ein Modell a la Schweden, wo alle Jahrgänge, Männlein und Weiblein, gemustert werden, und zunächst die sich freiwillig zum Militär meldenden jungen Menschen z.B. 12 Monate zum Wehrdienst eingezogen werden. Alle anderen könnten ein soziales Jahr absolvieren, was auch unseren Pflegenotstand reduzieren würde. Und ein Dienst für die Allgemeinheit hat noch niemandem geschadet.
Vielleicht lesen Sie meine Gedanken mal nach. Danke für Ihre Beiträge.
Kommentar von Achim Bütow |
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Hücker,
liebe Blogger,
leider habe ich Ihr Buch bislang noch nicht gelesen, aber eine allgemeine Wehrpflicht tut niemandem weh! Was wäre denn dagegen einzuwenden, eine allgemeine Wehrpflicht einzuführen, zur Stärkung unserer leider personell und materiell ausgedünnten Bundeswehr, die nicht einmal einsatzfähig im Ernstfall, geschweige denn im Verteidigungsfall ist? Sollen wir immer auf den "großen Bruder" USA zeigen, der ja dann hilft und mit zunehmendem Alter (und Wahlen) immer unzuverlässiger wird?
Und wer partout keine Waffe in die Hand nehmen will, aus Glaubensgründen z.B., der soll eben Ersatzdienst machen - hatten wir doch alles schon einmal und täte unserem personell ausgedünnten Krankenhauspersonal bei zunehmendem Fachkräftemangel und dem erhöhtem Bedarf in der Altenpflege recht gut.
Und wenn schon Dienstpflicht - dann Dienstpflicht für alle- Männlein, Weiblein, diverse und für einen Zeitraum, in dem man mit den Pflichtigen auch etwas anfangen kann - bei Soldaten ernsthaft nach mindestens 1 Jahr, besser länger.
Die Möglichkeiten, sich statt dessen freiwillig 10 Jahre im Ehrenamt für freiwillige Feuerwehr, THW oder ähnliches zu verpflichten, sollten selbstverständlich eröffnet bleiben.
Denn was hört man oft von - meist - orientierungslosen Schulabgängern, die mit 17 Jahren nach G- 8 mit Abitur aber ohne Führerschein, Volljährigkeit und Selbstbewußtsein in die Realität geworfen werden? Erst mal 1 Jahr chillen, work and travel in Australien, das nach 6 Wochen abgebrochen wird, weil zu anstrengend, Studienorientierungsjahr - aber nichts für die Gemeinschaft.
Ich gelte wahrscheinlich sowieso als alter Knochen, da ich noch im Kalten Krieg meine sowieso kommende Wehrpflicht von 15 Monaten auf eine wertvolle Zeit als Soldat auf Zeit aufstockte und bin heute noch stolz, mich über viele Wehrübungen hinweg zum Hauptmann der Reserve hochgearbeitet zu haben.
Was ist denn so schlimm daran, nicht mal nur zu fordern, sondern zu geben ? Oder mit JFK gesprochen: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“
Im Zeitalter des gepflegten Hedonismus ein faux pas - ich weiß - altmodisch, überholt und nicht zeitgemäß.
Aber so funktioniert ein Gemeinwesen nun mal am Besten.
Jetzt bin ich auf den -neudeutsch gesprochen shit storm - gespannt, er auf mich hereinbricht.
Ich weiß nur, dass ich durch meine Zeit bei der Bundeswehr tatsächlich zum jahrzehntelangen Frieden in diesem Land beigetragen habe - und bin stolz drauf!
Und auf "Freiwilligkeit" zu setzen, halte ich für verfehlt, denn wer sollte sich einem Dienst für die Gemeinschaft aussetzen, wenn er nicht muss??
Dafür bekommt man etwas zurück, was man nicht kaufen kann und das nicht selbstverständlich ist: Frieden!
Und für den muss man bereit sein zu kämpfen!
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