Sind Freiheit und Demokratie vereinbar?
von Gerhard Hücker (Kommentare: 0)

Peter Thiel, der deutschstämmige Investor, Unternehmer und Trump-Freund, schrieb am 13. April 2009 in seinem bekannten Essay für das Cato-Institut, einer der einflussreichsten öknomisch-politischen Denkfabriken der USA: »I no longer believe that freedom and democracy are compatible.«
Er argumentiert, dass liberale Demokratie im Widerspruch zu individueller Freiheit steht.
Leider erscheint mir dieser Satz, wenn ich unsere »Demokratie« ansehe, nur zu wahr. Vielleicht sollten wir einmal näher hinschauen, was wir tun.
J. D. Vance, der US-Vizepräsident, hatte Europa auf der letzten Münchener Sicherheitskonferenz attestiert, dass es ein latentes Problem mit der Meinungsfreiheit hat. Er bezog sich damit auf die übergriffigen Auswüchse und Zustände in der nicht sonderlich demokratisch legitimierten Europäischen Union. Tatsächlich: Es gibt genügend Beispiele.
Man kann es auch mit Humor nehmen.
Fritz Espenlaub, Journalist und Ökonom beim Bayerischen Rundfunk, sagte in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« am 12. Juni 2025 (ab 01:15:29): »Demokratie nervt ja auch wirklich. Infrastrukturprojekte scheitern an irgendwelchen Bürgerbegehren, wissenschaftliche Grundlagenforschung muss erst lang und breit diskutiert werden. Und jede neue Technologie wir erst einmal kritisch beäugt.« So kann es einem ja wirklich auch vorkommen.
Was soll man sich unter »Freiheit« in einer Demokratie eigentlich vorstellen?
Wie so oft hilft ein Blick in die Geschichte, hier in John Stuart Mill’s bekanntes Werk »On Liberty« aus dem Jahre 1859.
Seine zentralen Ideen sind:
- Individuelle Freiheit ist das höchste Gut.
»Over himself, over his own body and mind, the individual is sovereign.«
Mit anderen Worten: Jeder Mensch soll frei denken, leben und handeln dürfen, solange er anderen nicht schadet. - Das Schadensprinzip.
»The only freedom which deserves the name is that of persuing our own good in our own way, so long as we do not attempt to deprive others of theirs.«
Anders gesagt: Die einzige Rechtfertigung für Macht über andere ist, Schaden zu verhindern; d.h., der Staat oder die Gesellschaft darf deine Freiheit nur dann einschränken, wenn dein Handeln anderen konkret schadet – und nicht bloß, weil es unerwünscht ist. - Meinungsfreiheit ist die Voraussetzung für Wahrheit.
Mill plädiert leidenschaftlich für absolute Redefreiheit, weil jede Meinung – auch eine irrige – zur Suche nach Wahrheit beiträgt, Diskussion mit anderen die eigene Überzeugung stärkt oder korrigiert, und das Schweigen von Meinungen zur »Tyrannei der Mehrheit« führen kann. - Widerstand gegen Konformität und sozialen Druck.
Mills warnt nicht nur vor staatlicher Zensur, sondern auch vor gesellschaftlichem Zwang. Eine demokratische Gesellschaft kann durch die »öffentliche Meinung« und »sozialen Druck« genauso unterdrückend sein wie eine Diktatur. Mills fordert eine Vielfalt der Lebensformen, Lebensstile und Gedanken, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und einen Schutz des Individuums nicht nur vor dem Staat, sondern auch vor der Gesellschaft. - Bildung, Mündigkeit, Entwicklung.
Mill will Freiheit nicht nur »negativ« (= als Freiheit von Zwang), sondern auch »positiv« (= Freiheit zur Entwicklung) praktizieren. Der Mensch soll reifen, denken, sich bilden können. Und diese Freiheit ist Voraussetzung für Selbstverwirklichung und Fortschritt.
Vergleicht man den Zustand in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern mit den Forderungen John Stuart Mill’s – ich denke nur an die Auseinandersetzung mit den Rechtsparteien oder die Indoktrination der Bevölkerung durch die in Funk und Fernsehen veröffentlichte »Mainstream«-Meinung – so erkennt man schnell, woran es hapert:
Bei uns herrscht Mehrheitsdenken über das Denken und Leben von Minderheiten. Bei uns fehlt die politische Bildung, fehlen mündige Bürger, die sich eine eigene Meinung bilden können. Bei uns fehlt eine Streitkultur, die sachlich argumentiert und Andersdenkende nicht verunglimpft.
Wenn wir das nicht ändern, dann sind Freiheit und Demokratie wirklich nicht kompatibel.
Ihr Standpunkt ist gefragt!
Mich interessiert Ihre Sicht: Wo erleben Sie Einschränkungen von Freiheit – durch Staat, Gesellschaft oder Medien? Kommentieren Sie gern, auch kontrovers. Nur durch den Dialog und das gemeinsame Ringen um die besten Lösungen finden wir den Weg zu einer gerechteren Zukunft.

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